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Reimagining

Das Modellverfahren Mäusebunker steht für die Gestaltung eines Prozesses  – hin zu einer nutzungs­orientierten Analyse und Um­deutung dieser sperrigen, ikonen­haften Architektur.

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Arno Brandlhuber : Flora und Füchse. Bestand lieber mit Denkmalschutz als ohne.

Ein Gespräch mit Jule Froböse und Kristina Worthmann, September 2021. 

Mit Dank an Angelika Hinterbrandner von bplus für ihre Unterstützung und das Co-Editing.

 

Zusammen mit dem Galeristen Johann König gehört der Architekt Arno Brandlhuber zu den ersten, die öffentlich Interesse am Mäusebunker zeigten und sich für einen offensiven Umgang mit dem ehemaligen Tierlaboratorium engagierten. An der ETH Zürich arbeitet er mit seinem Studio station+ am Thema „Housing the Non-Human“. Hier wurden erste Studien zur Struktur des Gebäudes, Möglichkeiten der Belichtung und Belüftung sowie zu den umgebenden Biotopen realisiert. 

 

Sie haben in der Vergangenheit eine starke Haltung im Umgang mit Bestandsarchitekturen bewiesen und Architektur auf baupolitischer und gestalterischer Ebene als Argument positioniert. Was wiegt im Entwurf für Sie aus der Erfahrung stärker, die gestalterische oder die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bestand? 

Ganz klar die inhaltliche Auseinandersetzung. Wenn etwas in sich inhaltlich schlüssig ist, dann wird das Ergebnis „schön“. Das betrifft alle Erfahrungen, die wir bisher mit der Umnutzung von Bestand gemacht haben. Das Image der ehemaligen VEB-Damenunterwäschefabrik in Krampnitz (Potsdam), die von Brandlhuber+ Emde, Burlon umgebaut wurde, haben wir anhand des einfachen Wordings „Antivilla“ gewendet: Der Titel hat sofort eine Debatte um die Villen in Potsdam ausgelöst und gleichzeitig eine Bildpolitik transparent werden lassen, die jetzt mit dem Palais Barberini und den Abrissen der Gebäude aus der DDR-Vergangenheit noch einmal deutlicher geworden ist. Die Antivilla ist ein Argument. Das Gebäude zeigt, dass es um kluge Nutzung geht, die der Logik des Bestands folgt ohne etwas „hineinzuzwingen“. 

 

Ein ausschlaggebendes Argument für die Weiternutzung von Bestand betrifft generell die energetische Perspektive. Bilanziert man die graue Energie zur Gesamtenergie eines Gebäudes – also jegliche Energie, die zur Erstellung eines Gebäudes benötigt wird – zeichnet sich in der Regel ab, dass diese ungefähr der Energie entspricht, die im Laufe eines Gebäude-Lebenszyklus für Heizung und Kühlung ausgegeben wird. Diese im Gebäude gebundene Energie mitsamt der Ressourcen wird durch einen Abriss zunichtegemacht. Hinzu kommt der große Energieaufwand, um den Beton abzubrechen. 

 

In Zeiten, in denen wir uns mit einer Klimakrise konfrontiert sehen, ist es in der Gesamtbilanz wesentlich besser, mit Bestand umzugehen und neue Nutzungen zu finden. Dieses Argument hat sich die Denkmalpflege durch Herrn Rauhut bereits zu eigen gemacht, aber bislang noch nicht so aktiv kommuniziert. 

grob verputzte Fassade von Antivilla grau und mit unförmigen, herausgeschlagenen Fenstern
Antivilla von Brandlhuber+ Emde, Burlon, Krampnitz. Foto: Erica Overmeer
Detailansicht Fassade von Antivilla, 4 Glastüren, grauer, grober Putz
Antivilla von Brandlhuber+ Emde, Burlon, Krampnitz. Foto: Erica Overmeer
Innenansicht der Antivilla, links Küche unter betonierten Treppenaufgang, Raum wird durch Vorhang geteilt
Antivilla von Brandlhuber+ Emde, Burlon, Krampnitz. Foto: Erica Overmeer
links ein Fenster mit Blick nach außen auf Nachbarhaus und See, rechts Spiegelung im Fenster des Innenraums
Antivilla von Brandlhuber+ Emde, Burlon, Krampnitz. Foto: Erica Overmeer

Bild: Erica Overmeer

Wie bewerten Sie den Bestand des Mäusebunkers? 

Das Gebäude ist statisch auf sehr hohe Nutzlasten ausgelegt. Das heißt, der Mäusebunker ist stabil genug für Veränderungen. Im Inneren gibt es im Wechsel hohe und sehr niedrige Geschosse mit vielen Wänden. Die Wand- oder Deckenelemente lassen sich entfernen, weil sie statisch überbemessen sind. 

 

Interessant ist auch die Elementfassade, die aus angehängten Platten besteht. Was diesbezüglich möglich wäre, ist natürlich mit der Denkmalpflege zu diskutieren. Ursprünglich sollte das Gebäude wesentlich länger werden. Aus finanziellen Gründen hat man den Bau dann gestoppt, sodass es straßenabgewandt eine Art provisorische Fassade gibt, die nur mit Eternitplatten abgedeckt ist. Wenn man diese provisorische Fassade entfernen kann, wäre ein großer Teil des Gebäudes geöffnet.

 

Welche Komponenten erachten Sie als denkmalwürdig und würden Sie erhalten wollen?

Menschen haben durchaus eine ideologisch geprägte Brille, wenn es um den Umgang mit „unangenehmen“ Bestand geht. Das wissen wir hier in Berlin nur allzu gut. Ich glaube, beim Mäusebunker ist es ähnlich. Wir blenden sehr gerne das Tierunwohl aus, für das er steht.
Mich beschäftigt vor allem das Motiv des Tierlaboratoriums und wie mit dem Vermächtnis umgegangen wird. Mit dem Gebäudeabriss würde man auch die wichtige Diskussion zur Frage, wie wir mit anderen Lebewesen umgehen, annihilieren. Die negative Energie des Auslöschens, die in diesem Gedanken steckt und der ignorante Umgang aus den 1970er und 1980er Jahren mit nichtmenschlichen Lebewesen ist sehr aktuell. Die Diskussion dazu berührt so viele Themen, die wir aktuell führen: das Zusammenleben, das Klima aber auch die Verbreitung von Viren. 
Ich plädiere dafür, hier inhaltlich anzusetzen und proaktiv damit umzugehen. Forschungseinrichtungen, die sich genau mit diesen Themen beschäftigen, könnten im Mäusebunker einen Platz finden. 
 

Was ist architektonisch relevant für den Denkmaldiskurs? Das starke Gesamtbild der Brutalismus-Hülle, die Lüftungsröhre, die Betonfertigteile … ?

Das von Magdalena und Gerd Hänska entworfene Gebäude ist ein seltsames, aber sehr besonderes Gebäude. Es steht für eine maschinenhafte Eigenlogik. Das äußere Bild des Laboratoriums spiegelt eine Ehrlichkeit wider: In den Laboratorien wurden Tierversuche vorgenommen, deren Existenz nicht nach außen dringen sollte. Die Gebäudehülle legt sich wie ein Panzer um alles, was im Inneren des Gebäudes vor sich ging. Genau dieser Signifikant der Sichtbarkeit wird oft mit einer bundesrepublikanischen Kultur assoziiert, wenn wir beispielsweise daran denken, wie eng Transparenz mit Demokratie verbunden ist. Der Mäusebunker ist ein Paradebeispiel dieser Zeit. 
Die neuen Tierlaboratorien der Charité in Buch hingegen gleichen eher konventionellen Bürogebäuden. 

 

Auch das Zusammenspiel mit dem eleganten Fehling+Gogel Bau ist ein wichtiger Aspekt in dem Denkmaldiskurs. Im Ensemble sind die beiden Gebäude wie zwei Antipoden – äußerlich, aber auch in ihren verschiedenen Funktionen ergänzen sie sich. Der Fehling+Gogel Bau bot Platz für Hörsäle. Er stand für Vermittlung und Diskurse und ist ein heller, kommunikationsoffener Ort. Der Mäusebunker hingegen ist in sich geschlossen – eine wehrhafte und sehr robuste Maschine. Alleine würden beide einen Teil ihrer Identität verlieren. 

 

In einem Verhandlungsverfahren, das Denkmalpflege mitdenkt, muss man erst einmal davon ausgehen, dass alles zu erhalten ist. Ein möglicher erster Schritt aus dieser Perspektive wäre das Weiterbauen an der hinteren Fassade des Gebäudes, die nie fertiggestellt wurde. Vielleicht kann man zugunsten des Erhalts des Gesamtcharakters zum Schluss nur 50 Prozent der 2800 Quadratmeter sinnvoll, natürlich belichtet und belüftet, nutzen. Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, mit einer einzigen, bestimmten Nutzung 100 Prozent der Fläche bespielen zu können.

In der ARCH+ Podiumsdiskussion im silent green haben Sie gesagt, dass Sie sich vorstellen könnten, jedes zweite Stockwerk für Flora und Fauna offenzulassen. Hatten Sie sich überlegt, inwiefern Co-Habitation tatsächlich auch die urbane Stadtstruktur der Landschaft aufwerten würde? Funktioniert das ganz von alleine oder sollte das betreut werden? 

Flora und Fauna erobert sich ihren Raum schon ganz alleine, wenn wir das zulassen. Auch deswegen ist eine Teilnutzung des Gebäudes so interessant, weil so Platz für Andere(s) frei wird. Es gibt sehr diverse Fauna – nicht nur allseits bekannte Füchse –, die vom Ufer kommen. Aus dieser Perspektive ist die Uferbefestigung infrage zu stellen, um das parkhafte Gesamtgelände des Campus Benjamin Franklin öffentlich noch besser zu verankern und mit der Idee der Co-Habitation zu verknüpfen. Die Natur sollte das stille Monument nicht einfach nur überwuchern und besiedeln, sondern wir müssen uns dem auch aussetzen und unsere Komfortzonen davon berühren lassen. 

 

Sie haben das Programm schon mit Botanikern, Klimaforschern und so weiter transdisziplinär besprochen?

Das Entwurfsstudio an der ETH Zürich hat sich sowohl mit der architektonischen, aber auch mit der programmatischen Perspektive aus Sicht von echten Nutzer*innen beschäftigt. Es gab eine ganze Gruppe mit Vertreter*innen von unterschiedlichen Institutionen und Akteur*innen, die sich mit Inputs an der ETH beteiligt haben, weil sie selbst Interesse oder ihre Schwerpunkte in dem Themenbereich haben. Lehrstühle und Forschungsinstitute, die sich dem Thema Co-Habitation widmen, erschließen sich ihre Inhalte in der Regel über Feldstudien. Im Mäusebunker könnten sie idealerweise direkt in ihren neuen Forschungsräumlichkeiten praktizieren. 

 

Die Baubotanik von der Technischen Universität München hat Interesse angemeldet aber auch andere Forscher*innen. Die Ideen der Nutzung reichen von Experimenten am Gebäude – da der Mäusebunker im innerstädtischen Bereich natürlich eine großartige kommunikative Oberfläche bietet – bis hin zu Versuchen im Inneren des Gebäudes. Forschen und Arbeiten könnte hier also nebeneinander stattfinden, eingebettet in lebensnah erfahrbare Inhalte. Ich könnte mir vorstellen, dass die Charité in solch ein neues Umfeld mit einzieht.

 

An der ETH Zürich wurden auch architektonische Studien durchgeführt. Wie würden Sie bei der Entwicklung des Gebäudes architektonisch vorgehen?

Die Neuentwicklung des Gebäudes wird ein Prozess sein. Mit minimal invasiven Eingriffen – aber mit Eingriffen. Am bereits erwähnten hinteren Teil der Fassade könnte man anfangen, das erste Drittel des Gebäudes wieder nutzbar zu machen. Mit jedem neuen Abschnitt lernt man, was funktioniert und was als nächstes zu tun ist. Das zweite Drittel braucht dann vielleicht größere bauliche Eingriffe. Das Gebäude wird sich immer mehr öffnen, nicht nur baulich, sondern auch durch die neu hinzukommenden Nutzungen.
Wir haben ganz unterschiedliche Szenarien durchgespielt und auf die Machbarkeit hin untersucht: Die schachtartige Öffnung in der Mitte des Gebäudes, über die man alles natürlich belüften könnte oder die Nutzung der flachen Geschosse als Zuluftkanäle, die dann außerdem Pflanzen und Tieren offenständen. Es gibt unterschiedlichste Optionen. Die wichtigste Arbeit dabei ist, die inneren Logiken des Gebäudes zu durchdringen und dann zu verstehen, welche Räume man wofür anbieten könnte. Erst wenn man diese Erkenntnisse gewonnen hat, lässt sich ein Raumprogramm definieren. Vielleicht werden dann nur 10 Prozent zu klassischen Büroflächen.

 

Das Problem bei einem prozessbasierten Vorgehen dieser Art ist, dass man natürlich zu Beginn nicht weiß, wohin sich das Projekt entwickeln wird. 
Die Antivilla war wie der Mäusebunker schadstoffbelastet. Als der Bauprozess mit der Reinigung des Gebäudes begann, fanden wir das asbestverseuchte Eternitdach. Darunter war ein Dachtragwerk aus besseren Dachlatten, das ziemlich angegriffen war. Das kam natürlich alles weg. Der geplant prozesshafte Vorgang hat uns erlaubt, mit diesen Erkenntnissen umzugehen. Genau so wird es auch beim Mäusebunker sein, bei dem man auch die Belange der Denkmalpflege einschätzen muss. 
Dafür braucht es vor allem Vertrauen, dass man so einen Prozess durchhält, sowohl ökonomisch als auch zeitlich und energetisch. Das Büro Brandlhuber+ hat Erfahrung mit solchen Projekten. Sowohl im Fall von San Gimignano Lichtenberg, als auch bei der Antivilla haben wir uns auf Bestandsgebäude eingelassen, die andere für zu schwierig oder nicht erhaltenswert erachtet haben.
Natürlich wollen aber alle gerne schon vorab eine konkrete Kosten-Nutzen-Rechnung. Es gibt einen Haushalt, der den Entscheidungen bezüglich Zielsetzungen zugrunde liegt: Wie viel nutzbare Fläche lässt sich erzielen? Lässt sich das Atelierprogramm in den Prozess integrieren? Und was kostet das alles? Das kann man in der Gesamtschau jetzt noch nicht konkret sagen. Es wäre wünschenswert, dass sich die öffentliche Hand auf einen solchen Bauprozess einlässt und das Risiko mitträgt. Also ein Modellverfahren im Sinne eines prozesshaften Baugruben-Dialogs. 

Gemeinsam mit Johann König haben Sie Ihr Kaufinteresse an dem Mäusebunker und dem Grundstück öffentlich bekundet und wollen dort einen kulturellen Ort schaffen. Was beinhaltet das Angebot?

Das Angebot ist ganz einfach: Es gibt einen Grundstückswert, der im Grundwertkataster der Stadt Berlin hinterlegt ist. Dem gegenüber stehen die Abrisskosten. Die Schadstoffsanierung ziehen wir entsprechend der ersten Charité-Kostenschätzung vom Grundstückswert ab. Die Schadstoffbeseitigung muss in jedem Fall vorgenommen werden – ganz egal, ob das Gebäude weitergenutzt oder abgerissen wird – da die meisten Schadstoffe in den technischen Anlagen stecken, die nicht mehr genutzt werden. Das Risiko dieser Beseitigung wird der Charité niemand abnehmen. 
Aber wir bieten an, alle Risiken abzunehmen, die in einer Weiternutzung des Gebäudes selbst stecken und verpflichten uns zum denkmalgerechten Erhalt. 

 

Die Nutzung vor Ort würde nach Ihrer Beschreibung eine gewisse Offenheit beinhalten. Johann König hat ein erklärtes Kunstinteresse, würde aber bei dieser Prozessoffenheit mitgehen?

Johann König ist nicht auf der Suche nach einem weiteren Ausstellungsraum ähnlich der St. Agnes. Annähernd große Räume ließen sich im Mäusebunker auch niemals herstellen. Beim Fehling+Gogel Bau wäre das anders gewesen, im Fall des Mäusebunkers ist es schwieriger und wenig zielführend. Große Räume herzustellen hieße dem Gebäude etwas aufzuzwingen, für das es baulich nicht angelegt ist. Ateliers für Künstler*innen mit in das Nutzungsprogramm mit aufzunehmen, ist denkbar sinnvoll. Es gibt viele Künstler*innen wie beispielsweise Pierre Huyghe oder Tomás Saraceno, die mit Tieren oder zum Thema Co-Habitation arbeiten. Das wäre eine ideale Besetzung und auch eine Ergänzung zur wissenschaftlichen Ausrichtung. 

 

Eine grundsätzliche Ausrichtung der Nutzung rund um das Thema Co-Habitation stellt für uns das größte Potenzial dar, weil man das starke Moment aus der Geschichte des Mäusebunkers heraus entwickelt. Es ist ein unglaublich starkes Zeichen, ein ehemaliges Tierlaboratorium der Co-Habitation zu widmen. 

 

Wie wäre eine langfristige Nutzung und auch eine öffentliche Zugänglichkeit zumindest in Teilen gesichert?

Das Gebäude wäre nicht völlig öffentlich wie der zu jeder Tages- und Nachtzeit zugängliche Park. Aber unser Ziel ist es, für das Gebäude diverse öffentliche Zugänglichkeiten und Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, sodass ein öffentliches Interesse generiert wird. 
Jetzt nicht lachen! Aber natürlich lässt sich im Mäusebunker auch eine Tierarztpraxis oder ein Vogelzüchterverein integrieren. Das versteht sich von selbst. 
Für Habitate und die Verbindungen zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen gibt es gerade eine Sensibilisierung. 
 

Innenansicht mit rötlichem Ziegelboden und grauen, verputzen Betonwänden
St. Agnes von Brandlhuber+ Emde, Burlon / Riegler Riewe, Berlin. Innenansicht vor dem Umbau der St.-Agnes-Kirche. Foto: Erica Overmeer
Winterszene mit brutalistischer St.-Agnes-Kirche hinter kahlen Bäumen
St. Agnes von Brandlhuber+ Emde, Burlon / Riegler Riewe, Berlin. Außenansicht der St.-Agnes-Kirche. Foto: Erica Overmeer
Galerieraum in St. Agnes, hoher Raum mit 3 Treppen und ausgestellten Kunstwerken
St. Agnes von Brandlhuber+ Emde, Burlon / Riegler Riewe, Berlin. Innenansicht von der umgebauten St.-Agnes-Kirche, Galerieraum von Johann und Lena König. Foto: Erica Overmeer
Innenansicht Galerieraum St. Agnes mit eckigen Betonsäulen
St. Agnes von Brandlhuber+ Emde, Burlon / Riegler Riewe, Berlin. Innenansicht von der umgebauten St.-Agnes-Kirche, Galerieräume von Johann und Lena König. Foto: Erica Overmeer

Oft scheitern wir schon an der Co-Habitation mit einer Spinne im Wohnzimmer. Das Thema in der Gesellschaft zu platzieren ist auch eine Herausforderung.

Vor noch wenigen Jahren haben wir Unkrautvernichtungsmittel in jede Kante unserer Häuser gesprüht, bis wir darauf kamen, dass Stadtgrün doch ganz gut ist. Wir haben inzwischen gelernt, was das für das Stadtklima heißt. Das hat vielleicht 40 Jahre gedauert und inzwischen ist die Artenvielfalt in Berlin größer als in Brandenburg. Und es sind nicht mehr nur die Brachen zwischen Ost und West und im Gleisdreieck Park, die für mehr Vielfalt als die monokulturellen Ackerbauflächen sorgen. 

 

Die Bedeutung von Stadtgrün ist heute allen bewusst. Eine Neuausrichtung der Wertschätzung von Tieren in unserem Ökosystem steht jedoch noch ganz am Anfang – noch sind viele Fragen zu ihrer Agency und darüber, wie wir mit und für sie sprechen können, offen. Die Frage ist also: lasse ich die Spinne in dem Raum ko-existieren oder mache ich die Spinne platt.  
Selbst Banken können sich inzwischen vorstellen, in so ein Projekt zu investieren, weil es einfach so interessant ist und in Zeiten der Klimakrise neue Perspektiven auf so vielen Ebenen eröffnet. 

 

Sie haben Ihre populärsten Architekturen und Projekte in Eigenregie umgesetzt. Ist der Denkmalschutz nicht auch ein Korsett?

Andersherum: Die Denkmalpflege ermöglicht ein Finanzierungsmodell, indem man Investitionskosten in 10 Jahren abschreiben kann. Wir setzten vielleicht (fiktiv) 10 bis 15 Millionen Euro exklusive des Kaufpreises ein, die wir absetzen können, weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht und das refinanziert einen Teil des Gesamtprojekts. 

 

Wie eng man den Begriff der Denkmalpflege fasst und versteht, ist eine Frage des Zugangs. Das Ideal wäre meiner Meinung nach, nicht der Charta von Venedig zu folgen, da sich die Nutzung ändern muss. Es wird kein Tierlaboratorium mehr aus dem Mäusebunker werden. Was aber nicht heißt, dass man den Bau in einer Art und Weise überformt, wie es vielleicht in den Niederlanden bei protestantischen Kirchen passiert ist. Diesbezüglich ändert sich gerade auch die Haltung zur stark objekteinfrierenden Denkmalpflege im wissenschaftlichen Diskurs. 

 

Wichtig ist dabei zu verstehen, dass im deutschsprachigen Raum das Denkmal immer auf das Objekt zielt und man sich schwertut, soziale Kontexte mitzudenken. Im englischsprachigen Raum spricht man vielmehr vom „heritage“. Der Begriff „Erbe“ impliziert die Einbettung in einen größeren Kontext und eine Bedeutung für die Umgebung etc. Silke Langenberg an der ETH Zürich und andere Expert*innen, auch in Berlin, bewegen sich zu einer offeneren Diskussion hinsichtlich der Fortschreibung von Gebäuden durch andere Nutzungen.
 

Arno Brandlhuber

(* 1964) ist Architekt und Stadtplaner. Seine Arbeit umfasst Architektur- und Forschungsprojekte, Ausstellungen und Publikationen sowie politische Interventionen. Im Rahmen seiner Beschäftigung mit Aspekten der Legislative in der Architektur- und Stadtproduktion entstanden gemeinsam mit Christopher Roth und Olaf Grawert die Filme Legislating Architecture (2016), The Property Drama (2017) und Architecting after Politics (2018). Seit 2017 ist Arno Brandlhuber Professor für Entwurf und Architektur an der ETH Zürich. Gemeinsam mit Olaf Grawert, Nikolaus Hirsch und Christopher Roth kuratiert er den Deutschen Pavillon der 17. Architekturbiennale 2021 in Venedig. Die von ihm 2006 gegründete kollaborative Praxis Brandlhuber+ befindet sich derzeit in einer Phase der Neuausrichtung hin zu bplus.xyz